Nachts unterwegs mit der Zeitungs-Ute

Ilsfeld  Die Auensteiner Zustellerin lässt sich von Wind, Regen und komischen Gestalten nicht von ihrer Arbeit im Dunkeln abbringen. Brenzlige Situationen kennt sie. Seit ihr Hund India mit auf Tour ist, fühlt sie sich sicherer.

Von Bigna Fink

Bild 1/5: Ute Sieber und ihre Hündin India beim Zeitungszustellen nachts in Auenstein. Foto: Mario Berger

Um 2 Uhr nachts beginnt die Arbeit für Ute Sieber aus Ilsfeld-Auenstein. Sie trägt eine neongelbe Jacke mit Reflektoren, ihre Hündin India ein gelbes Leuchtmäntelchen. Ute Sieber ist seit 18 Jahren Zustellerin für die Heilbronner Stimme in ihrem Heimatort Auenstein.

“Zeitungs-Ute nennen mich die Leute hier. Viele Kunden kannten mich schon als kleines Mädchen.” Während der Hund im Kofferraum auf einer Wolldecke sitzt, sortiert sie im Auto Zeitungsstapel und Post. “Heute ist das Wetter gut. Fünf Grad, kaum Regen und Wind.” Die 45-Jährige mag eine solche Witterung lieber als 30 Grad, die sie 2018 einige Nächte im Sommer erlebte.

Orkan Sabine war nichts gegen Kyrill

Ute Sieber und ihre Hündin India
Trotz den Orkantiefs Sabine (2020) oder Kyrill (2007) trug Ute Sieber die Zeitungen im Ilsfelder Ortsteil Auenstein aus. Foto: Bigna Fink

Orkantief Sabine konnte ihr dagegen wie vielen anderen Zustellern der Heilbronner Stimme/Hohenloher Stimme/Kraichgau Stimme so gut wie nichts anhaben: “Ich fing um halb 2 Uhr an. Da hat es zwar schon stark geregnet und gewindet, aber der eigentliche Sturm kam erst nach 5:30 Uhr, als ich schon zu Hause war.” Die rund 170 Zeitungskunden von Ute Sieber hatten ihr Blatt pünktlich im Briefkasten.

Die Zusteller bekamen nachts von ihrem Arbeitgeber, der Regio Zustellservice GmbH, eine SMS. Sie wurden gebeten, aufgrund der Wetterlage kein Risiko einzugehen . “Früher gab es die Warnungen nicht, das hat sich erheblich gebessert,” sagt Sieber. Viel krasser sei der Orkan Kyrill 2007 gewesen: “Da sind vor und hinter mir Dachsteine runtergefallen. In so einer Lage würde ich heute nicht mehr austragen.” 

Die Tour ist effektiv durchdacht

Einen Teil der Tour macht sie mit dem Auto. Früher hatte sie die Zeitungen komplett zu Fuß und mit einem Wägelchen ausgetragen. Bis sie herausfand, dass es ohne schneller geht.

Ute Sieber und ihre Hündin India
Ute Sieber schiebt die Heilbronner Stimme und andere Zeitungen in die Briefkästen von 170 Abonnenten. Foto: Mario Berger

Ihre Tour hat sie so ausgetüftelt, dass sie während ihrer Autorunde einen Zeitungsstapel mit einem Stein unter bestimmte Häuserdächer lagert. Anschließend kommt sie zu Fuß daran vorbei, holt den Stapel. So muss sie nicht viele Zeitungen auf einmal schleppen und weiß ganz genau, ob sie keine vergessen hat. “Ich kenne alle Kundennamen und deren Zeitungs-Abos auswendig.”

Ihr Schlafrhythmus ist schnell angepasst

Vergangenes Jahr musste die Auensteinerin wegen einem Bandscheibenvorfall Monate pausieren, Stück für Stück ist sie wieder bei alten Kräften. Begonnen hat die ehemalige Bankkauffrau mit dieser besonderen Arbeit, als ihre Kinder noch klein waren. “Als Zustellerin hatte ich tagsüber Zeit für meinen Sohn und meine Tochter, die Kindergartenzeiten waren nicht so flexibel wie heute.”

Auch jetzt, der Nachwuchs ist schon über 20 Jahre alt, bleibt sie ihrer Arbeit treu. “Ich mag den Job, weil ich an der frischen Luft in Bewegung bin, und mit meinem Hund arbeiten kann.”

Ute Siebers Rhythmus sieht so aus: Vor der Arbeit macht sie um Mitternacht “einen kleinen Mittagsschlaf”, und nach der Arbeit, nach 6 Uhr, schläft sie dann richtig bis etwa 13 Uhr. “Da darf mich niemand stören.” Zeitliche Änderungen wie am Sonntag und in Urlauben sind für sie kein Problem: “Sonntags schlafen wir lang aus.”

Seltsame Gestalten im Dunkeln

Ute Sieber und ihre Hündin India
Nachts erscheinen in Auenstein bisweilen seltsame Gestalten – etwa überlebensgroße Figur eines älteren Herren. Foto: Bigna Fink

Dalmatiner-Mischling India aus einem Tierheim ist seit drei Jahren geliebtes Familienmitglied der Siebers. Die Hündin wedelt mit dem Schwanz, als die erste längere Tour ohne Auto beginnt. Insgesamt sind sie etwa zwei Stunden in der leisen Nacht zu Fuß unterwegs. Es geht im Dunkeln hoch und runter, auf Treppen, Pfaden zu den Briefkästen, an Gartenfiguren wie einem riesigen Stier oder einem überlebensgroßen Mann vorbei.

“Was ich schon alles erlebt habe, darüber könnte ich ein Buch schreiben”, sagt Sieber. Eines Nachts sah sie etwa Taschenlampen leuchten in einem Haus einer Familie, die eigentlich im Urlaub sein sollte, das Zeitungs-Abo pausiert hatte. Sie rief die Polizei, doch dann die Entwarnung: Die Bewohner selbst waren mit Taschenlampen im Haus unterwegs – sie waren noch einmal kurz zurückgekommen, hatten aber die Sicherung für die Urlaubszeit abgestellt. 

“Ich bin froh, dass India nun dabei ist, ich fühl mich viel sicherer, sie passt auf mich auf.” Es gab schon ein paar brenzlige Situationen, erzählt Sieber. Als sie noch keinen Hund dabei hatte, steuerten eines Nachts zwei Jugendliche auf sie zu. “Die Lage war kurz vor Pfefferspray.” Sie rief ihnen zu, dass sie fern bleiben sollten, die Straße sei breit genug. Die jungen Männer verschwanden.

Frühaufsteher freuen sich auf Ute Sieber

Um 6 Uhr ist die Arbeit getan und Ute Sieber und India glücklich. Foto: Bigna Fink

Im Auto zurück huscht ein Marder vorbei. “Davon sehe ich viele, etwa drei pro Nacht.” Nach fünf Uhr gehen die ersten Lichter hinter den Fenstern an. An einem Gartentor kommt Gisela Schneider der Zustellerin entgegnen. Die beiden halten einen kleinen Plausch. Die Rentnerin sagt: “Wir sind Frühaufsteher. Mein Mann freut sich morgens auf die Zeitung, die uns Frau Sieber so zuverlässig bringt.”


Über die Zusteller-Arbeit 

Rund 900 Zeitungszusteller bringen in der Region die Heilbronner Stimme und weitere Zeitungen früh morgens zu den Abonnenten. Sie sind bei der Regio Zustellservice GmbH (RZS), in der Heilbronner Austraße neben dem Druckereigebäude, beschäftigt. Von Sulzfeld bis Mulfingen decken die Zusteller das Verbreitungsgebiet der Stimme ab.
„Die Touren sind ganz unterschiedlich, von einer bis acht Stunden lang“, sagt André Koch, Geschäftsführer der Regio Zustellservice Mitte GmbH. 

Eine Zustellerin, die mit am längsten diese Arbeit verrichtet, ist die 85-jährige Katharina Neumann aus Kupferzell. Letztes Jahr wurde sie vom RZs geehrt: Seit mehr als 50 Jahren, seit dem 1. Juli 1969, trägt sie nachts die Heilbronner Stimme aus. „Im Hohenlohischen gibt es richtige Zusteller-Dynastien, die Tätigkeit wird weitervererbt, etwa von der Mutter zur Tochter zum Enkel“, erzählt Koch. 

Die Suche nach neuen Mitarbeitern gestalte sich seit einigen Jahren sehr schwierig, sagt Koch. „Personen, die einen Zusatzverdienst suchen, sich gerne an der frischen Luft bewegen, sind bei uns herzlich willkommen.“