Was ein Stimme-Redakteur als Zeitungszusteller erlebt hat
Die Stimme-Mediengruppe sucht dringend Zusteller. Einige Redakteure und Mitarbeiter aus anderen Abteilungen sind eingesprungen und haben die Zeitung in der Urlaubszeit zugestellt. Was Stimme-Redakteur Christoph Donauer dabei erlebt hat, schildert er in seinem Erfahrungsbericht.
Um 2.20 Uhr klingt die Melodie meines Handy-Weckers etwas unschöner als sonst. Es ist eine Uhrzeit, die ich sonst nur von Partys am Wochenende kenne. In den nächsten sieben Tagen markiert sie jedoch meinen Tagesbeginn als Zusteller der Heilbronner Stimme im Stadtteil Klingenberg.
Während ich geschlafen habe, wurde die Tageszeitung auf Platten belichtet, gedruckt, verpackt und in handlichen Stapeln in der gesamten Region verteilt. Sie warten auf die rund 900 Zusteller, die die Zeitungen am Ablageort aufsammeln und von Eppingen bis Mulfingen in die Briefkästen stecken. Mehr als eine Tasche, eine Stirnlampe und eine Liste mit den Abonnenten sind dafür nicht nötig. Also stapele ich die Zeitungen in meinen Beutel und staune, dass mehrere Ausgaben der “Bild” und der “Welt” darunter sind – auch sie werden von Stimme-Zustellern ausgetragen.
Selbst im früheren Wohnort entdeckt man neue Ecken
Vor mir liegt das schlafende Klingenberg. Meine Kollegen vom Regio Zustellservice haben den Ort in drei Zonen eingeteilt, heute werde ich im ersten Bezirk unterwegs sein. Ein paar Jahre lang habe ich in dem Stadtteil am Hang gelebt, doch die Straßen, die auf meiner Route liegen, laufe ich zum ersten Mal ab.
Die Strecke habe ich mir mit Hilfe von Kartendiensten vorher zurecht gelegt, ohne einen Blick auf die Papierlisten geht es aber nicht. Manche Abonnenten erhalten nur die Samstag-Ausgabe, andere sind im Urlaub und haben die Zeitung zeitweise unterbrochen. Wieder andere weisen die Zusteller darauf hin: “Bitte ganz in den Briefkasten stecken!”
Hübsch dekorierte Häuser treffen auf abweisende Zweckbauten
Also läuft die Nacht nach dem immer selben Muster ab: Hausnummer finden, ein Blick auf die Abo-Liste, Zeitung in den Briefkasten stecken, weiterlaufen. Der Lichtkegel meiner Stirnlampe fällt dabei auf opulente Einfahrten, penibel getrimmte Hecken und Autos aller Größenordnungen. Es ist ein Spiel der Gegensätze: Neben hübsch dekorierten Häusern mit Blumen im Vorgarten und selbstgebasteltem Namensschild aus Ton stehen quadratische Zweckbauten mit Schottergärten und abweisenden Stahlzäunen.
Briefkasten für Briefkasten, Zeitung für Zeitung, Wasserschluck für Wasserschluck arbeite ich mich durch die Nacht. T-Shirt und kurze Hose sind angesagt, denn das Thermometer zeigt an diesem frühen Samstagmorgen noch um 3.30 Uhr sommerliche 25 Grad. Ich bedanke mich innerlich und mag mir nicht ausmalen, wie hart die Arbeit bei Dauerregen und Eiseskälte sein muss.
Manche Straße ist chaotisch nummeriert
Als ich umkehren muss, weil ich an einer Hausnummer vorbeigelaufen bin, mache ich zuerst noch meine Müdigkeit verantwortlich. Dann wird mir klar, dass die Stadtplaner mir wohl einen Streich spielen wollen. Die “Wittumhalde” ist derart chaotisch nummeriert, dass mein Blick immer wieder zwischen Hausnummer, Abo-Liste und Handy-Karte schwankt. Während sich ein Teil der 50er- und 60er-Nummern am rechten Straßenrand befindet, stehen andere Häuser aus diesem Bereich in kleinen Seitenstraßen.
Und es wird noch wilder: Erst nachdem ich gut eine Viertelstunde durch diese Straße geirrt bin, finde ich die Nummer eins – erneut in einer kleinen Seitenstraße, während die Nummer zwei ganz woanders liegt. Muss man das verstehen?
Zwei Igel begegnen mir in der Morgendämmerung, die um 5.30 Uhr einsetzt. Auch das weiß ich jetzt. Mit dem Gefühl, etwas geleistet zu haben und rund 7000 Schritten auf meiner Uhr, werfe ich die letzte Zeitung in den Briefkasten und falle zu Hause ins Bett.
Manchmal bekommt die ganze Straße die Zeitung – oder niemand
Neue Woche, neues Gebiet, wieder Wecker um 2.20 Uhr. Schlaftrunken marschiere ich heute durch das zweite Gebiet, das die Südhälfte von Klingenberg umfasst. Hier geht es deutlich steiler bergauf und bergab, also stelle ich von oben nach unten und von unten nach oben zu.
Auf meiner Liste habe ich die Route so geplant, dass ich an allen Häusern vorbeikomme und notiert, ob sie sich auf der rechten oder linken Straßenseite befinden. Es stellt sich raus, dass sich die Vorarbeit gelohnt hat. Ich laufe durch Straßen, in denen fast jeder die Zeitung abonniert hat – und durch solche, in denen ich nur eine Ausgabe zustelle.
Selbst um 4 Uhr morgens ist manch ein Heilbronner wach
Nach einer Runde durch den “Alten Hochweg”, die “Neipperger Höhe” und die Straße “Am Wasserturm” führt mich mein Weg wieder ins Oberdorf und zurück. Hin und wieder durchbricht ein Lichtstrahl das Dunkel der Nacht. Einige Fenster sind beleuchtet, mehrmals vernehme ich die Stimme von Radio- oder Fernsehmoderatoren, manchmal dreht jemand seine Runde mit dem Hund. So ganz schläft Klingenberg also nicht, selbst um 4 Uhr morgens. 83 Zeitungen später beende ich meine Runde. Jeder Abonnent wird an diesem Morgen seine Zeitung beim Frühstück lesen können.
Im Laufe der Woche werde ich etwas schneller. Wer eine Zeitung bekommt und wer nicht, weiß ich inzwischen auswendig. Besser so, denke ich und habe noch vor Augen, wie ich anfangs die oft bleichen Hausnummern und
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Denn die Klingenberger sind sich bei ihrer Hausnummer alles andere als einig. An manchen Häusern prangen die Ziffern unübersehbar und beleuchtet an der Hauswand, an anderen hängt nur eine winzig kleine Tafel mit der rettenden Zahl. Und dann gibt es noch eine Heilbronner Besonderheit, die ich aus meiner pfälzischen Heimat nicht kenne. Mehrere Häuserblocks sind mit Schrägstrichen nummeriert: 7/1, 7/2, 59/3, 59/4. Verdutzt stehe ich davor und springe von Tür zu Tür, um Nummer /1 zweifelsfrei von Nummer /2 zu unterscheiden.
Das Zeitungsrohr: Nicht immer einfach zu finden
Jeden Tag werde ich ein Stück vor der Morgendämmerung fertig. Durch Hinweiszettel unserer Abonnenten finde ich manches Zeitungsrohr, das ich anfangs übersehen hatte. Ein Stimme-Leser nimmt seine Ausgabe gar persönlich im Morgengrauen entgegen. “Da drüben ist das Zeitungsrohr”, erklärt er mir und lacht. Die Röhre direkt hinter dem Torpfosten hatte ich ebenfalls übersehen. An dieser Stelle bitte ich bei allen anderen für den vollen Briefkasten um Entschuldigung!
Am letzten Tag belohnt mich der Mond für die vielen zurückgelegten Kilometer. Er steht als leuchtende weiße Scheibe am Himmel, so klar, wie man ihn in der Stadt selten sieht und so hell, dass er meine Stirnlampe überflüssig macht. Selbst die Perseiden erscheinen mir, bis das tiefe Schwarz zu einem freundlichen Mix aus Blau und Orange wechselt. Diesmal werde ich im Hellen heimfahren, so viel steht fest.
Ein Job, der mehr Wertschätzung verdient
In sieben Tagen als Zeitungszusteller ist längst nicht alles perfekt gelaufen. Mal standen noch Häuser auf der Liste, obwohl in meiner Umhängetasche keine Zeitung mehr war. Mal warf ich versehentlich eine Ausgabe ein, obwohl der- oder diejenige eigentlich pausieren wollte. Und an manchen Tagen näherte sich der Zeiger gefährlich schnell der 7-Uhr-Marke, bis zu der jeder spätestens seine Zeitung im Briefkasten haben sollte. Kaum vorstellbar, wie langjährige Zusteller diese Aufgabe jeden Tag aufs Neue bewältigen, hunderte Kilometer in der Woche zurücklegen, bei Wind und Wetter.
Ich weiß jetzt, dass Zeitungen austragen nichts mit dem Klischee des Jungen auf dem Fahrrad zu tun hat, der mit allen Nachbarn plauscht. Es ist harte Arbeit zu einer Uhrzeit, zu der andere schlafen und damit einer der vielen Jobs, dem hierzulande zu wenig Wertschätzung entgegengebracht wird.