Jenny gegen Sabine: Zustellerin trotz Sturm und Wasser

Hohenlohe  Warum Jenny Dürr (47) aus Friedrichsruhe Zeitungen austrägt und sich von nichts aufhalten lässt.

Von Yvonne Tscherwitschke

Jenny Dürr
Hat sich weder von der stürmischen Sabine noch von ihren anfänglichen Bedenken unterkriegen und bremsen lassen: Die Friedrichsruherin Jenny Dürr trägt die Zeitung in Unter- und Obermaßholderbach aus. Bei jedem Wetter.
Foto: Tscherwitschke

Eigentlich sollte es eine Geschichte darüber werden, wie die Zusteller der Heilbronner Stimme/Hohenloher Zeitung/Kraichgau Stimme vergangene Woche dem heftigen Sturm Sabine die Stirn(lampe) bieten und dafür sorgen, dass die Leser trotz herabfallender Äste, verwehter Mülltonnen und gesperrter Straßen wie gewohnt, höchstens mit ein wenig Verspätung, ihre Zeitung in den Briefkästen haben.

Dann aber wurde es eine ganz andere Geschichte. Es wurde nicht die Geschichte einer stürmischen Nacht und dem Einsatz der Zustellerin für die Zeitung und ihre Leser. Es wurde eine Geschichte darüber, wie der Job als Austrägerin dafür sorgte, dass eine Frau wieder zurück ins Leben fand.

Unglaubliche Wandlung

Denn als Jenny Dürr (47) vor vier Jahren die Anzeige “Zusteller gesucht” ins Auge fiel, da war die fünffache Mutter arbeitsunfähig. Wenn man die zierliche und Energie geladene Frau heute sieht, kann man sich ihre Schilderung gar nicht vorstellen: Sie habe 140 Kilogramm gewogen, einen Arm nur eingeschränkt bewegen können. Eine Rückkehr in ihren ursprünglichen Job schloss Jenny Dürr damals kategorisch aus. “Wenn man 20 Jahre nicht als Friseurin gearbeitet hat, dann hat man den Anschluss verloren.”

Sie habe sich in einem absoluten Tief befunden, erzählt die 47-Jährige. Nur zögerlich habe sie deshalb zum Hörer gegriffen, wollte eigentlich noch während des Gesprächs wieder einen Rückzieher machen. “Dann hatte ich aber eine so nette Ansprechpartnerin, die mir Mut gemacht hat, ich solle es doch mal versuchen.” Jenny Dürr ließ sich auf das Abenteuer ein, übernahm mit Untermaßholderbach erst einmal einen kleinen Bezirk. “Und es hat funktioniert”, sagt Jenny Dürr. Stolz schwingt in der Stimme mit.

Mut mit Konsequenzen

Ihr Mut hatte sichtbare Konsequenzen: Von der Sturmnacht berichtet eine gutaussehende, flotte 47-Jährige mit roten, gelockten Haaren und einer top Figur. Keine 60 Kilogramm bringt sie mehr auf die Waage. Was sie an Gewicht verloren hat, hat sie an Lebensqualität gewonnen. Sie fühlt sich sichtlich wohl in ihrer Haut und hat zwischenzeitlich einen Vollzeit-Job bei Kriwan in Forchtenberg als Industrie-Elektronikerin. “Ich hab nochmal voll durchgestartet”, sagt Jenny Dürr.

Aber wie macht sie das? Seit sie Zeitungen austrägt, steht sie jeden Morgen um halb vier auf, macht sich schnell eine Tasse Kaffee und fährt dann los. Erst mit dem Rad, nun mit dem Auto. Bis sechs Uhr müsse sie fertig sein, um rechtzeitig an ihrem Haupt-Arbeitsplatz zu sein.

“Deshalb war abwarten auch keine Option”, sagt Jenny Dürr. Sie ist trotz aufziehendem Sturm los wie immer. “Anfangs ging es auch noch”, erinnert sie sich. Doch schon nach der ersten Viertelstunde legten Wind und Regen zu. “Und dann musste man schon aufpassen, dass einem nicht die Mütze vom Kopf pustet”, sagt sie. Vier Bäume legt der Sturm um und quer über die Straße. Mülltonnen – oder der Inhalt davon – wehen ihr entgegen. “Normalerweise stelle ich die dann auf. An dem Morgen war das aber sinnlos”, sagt Jenny Dürr.

Froh war sie, dass an dem Montag keine Regiomail-Post auszutragen war. “Das wäre schwierig geworden, alles in der Hand zu behalten.” Denn kaum habe sie die Zeitung aus der Umhängetasche genommen, habe die sich schon aufgebläht und fast nicht in den Briefkasten stecken lassen. “Da hätte man vier Hände gebrauchen können.” Hatte sie keine Angst vor herabfallenden Ziegeln? Herumwehenden Brettern? “Ein Wellblechdach hat mich regelrecht verfolgt”, berichtet Jenny Dürr von einem Hüttenteil, das sich ihr immer wieder in den Weg gelegt hat und scheinbar die gleiche Route hatte.

Weil die Leute warten

Abbrechen? “Nein, das kam nicht in Frage”, sagt Jenny Dürr. “Die Leute warten doch auf ihre Zeitungen.” Auch vom Hochwasser habe sie sich nicht aufhalten lassen. “Ich bin da vielleicht ein bisschen sehr pflichtbewusst”, sagt Jenny Dürr. Aber: “Franziska Häusser hat mir geholfen. Ich bin ihr so dankbar. Ich werde sie nicht im Stich lassen”, erklärt Jenny Dürr ohne jeglichen Pathos in der Stimme.

Und wird dann wieder witzig: “Der größte Kampf war eigentlich, dass die Pudelmütze auf dem Kopf blieb, und der Wind nicht aus jeder Zeitung eine Origamiblume gebastelt hat bevor man sie einstecken konnte. Und zum Teil wurde man mit Rückenwind doch recht schnell”, erinnert sie sich mit Humor an die stürmische Runde.